Der öffentliche Dienst der Zukunft muss agil, vielfältig und digital sein. Bei seiner Jahrestagung in Köln hat der dbb ein Werkstattpapier zur Modernisierung des Staatsdienstes vorgelegt und einen Dialogprozess dazu gestartet.
„Nur ein personell wie technisch gut und vielfältig aufgestellter, modern agierender und beweglicher öffentlicher Dienst wird die Herausforderungen der Zukunft meistern und seine Arbeit mit der Rückendeckung einer breiten gesellschaftlichen Akzeptanz leisten können“, erklärte der dbb Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach bei der Jahrestagung des gewerkschaftlichen Dachverbands am 7. Januar 2020 in Köln anlässlich der Präsentation der Ideenskizze mit dem Titel „Aufbruch – Der öffentliche Dienst der Zukunft“. Nach Vorstellung des dbb ist der öffentliche Dienst der Zukunft
- mobil, agil und vielfältig,
- bürgernah und leistungsstark – analog wie digital,
- ein attraktiver Arbeitsplatz,
- top-ausgestattet und top-qualifiziert – jederzeit,
- geschätzt und wertschätzend gegenüber seinen Beschäftigten und
- mitbestimmt und mitgestaltet von starken Personalvertretungen.
„Akzeptanz wird der öffentliche Dienst nur dann erreichen können, wenn er den Staat als ‚Spiegel der Gesellschaft‘ repräsentiert mit einer vielfältigen Beschäftigtenstruktur, digitalen Dienstleistungen und einer wertschätzenden respektvollen Teamkultur“, machte dbb Chef Silberbach deutlich. Auch auf dem Arbeitsmarkt werde der öffentliche Dienst als größter Arbeitgeber Deutschlands im Wettbewerb um die Leistungsträger von morgen nur dann punkten können, wenn er ins Profil der Berufseinsteiger von heute passe: agil, vielfältig, digital. Auf dem Weg dorthin sei der Staatsdienst allerdings noch kaum aus den Startlöchern gekommen, kritisierte Silberbach, insbesondere mit Blick auf die Digitalisierung der Verwaltung: „Die Ausgangslage ist weiterhin überhaupt nicht prickelnd. Erneut hat der vom Nationalen Normenkontrollrat herausgegebene Monitor ‚Digitale Verwaltung‘ Deutschland nur auf einen der hinteren Ränge im EU-weiten Vergleich verwiesen. Ob die Fahrzeuganmeldung per Klick oder Sozialleistungen via Onlineformular – die Menschen beklagen immer wieder, dass etliche Bürgerservices noch immer nicht digital angeboten werden. Eigentlich sollen bis zum Jahr 2022 zahlreiche öffentliche Dienstleistungen auf den Plattformen der Verwaltungen zur Verfügung stehen. Aber Verwaltungs- und Digitalisierungsexperten halten es für unrealistisch, dass binnen des vorgegebenen Zeitraums tatsächlich alle 575 Verwaltungsdienstleistungen online angeboten werden“, warnte Silberbach und kritisierte das „eklatante Umsetzungsproblem“.
Entscheidend für ein Gelingen der digitalen Transformation sind aus Sicht des dbb die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes selbst: „Sie tragen und gestalten den Modernisierungsprozess, deswegen müssen sie von Beginn an einbezogen, mitgenommen und fit für die neuen Aufgaben gemacht werden“, so Silberbach. Vor diesem Hintergrund begrüßte er, dass der Bund bereit für den Abschluss eines Digitalisierungstarifvertrags sei. „Der dbb versteht sich mit Blick auf den Veränderungsprozess als gesellschaftliche Kraft, die den politischen Diskurs vorantreibt und hierbei alle Akteurinnen und Akteure mitnimmt“, erläuterte der dbb Chef. Die dbb Ideenskizze sei eine Einladung an alle zum offenen Dialog über „unseren öffentlichen Dienst. Seine Zukunft geht alle an, weil er unser aller Zukunft ganz entscheidend prägen wird“, betonte Silberbach. „Der Weg, der vor uns liegt, kann nur gemeinsam beschritten werden: von Bürgerinnen und Bürgern, Beschäftigten, von Politik, Wissenschaft und Wirtschaft. Mit ihnen allen möchten wir darüber sprechen, wie der öffentliche Dienst aufgestellt sein muss, um fit für alle Aufgaben zu sein, die er heute und in Zukunft zu erfüllen hat.“
Die dbb Ideenskizze thematisiert in drei großen Kapiteln die Themenfelder „Agilität, Vielfalt und Digitalisierung“ unter verschiedenen Aspekten. Zur Sprache kommen beispielsweise agile Arbeits- und Organisationsmethoden, flexible Arbeitszeiten, Teilhabe, Aus- und Weiterbildung sowie ethische und rechtliche Perspektiven. Erweitert werden die Darstellungen jeweils um konkrete Fragestellungen, zu denen Beschäftigte und Arbeitgeber/Dienstherrn ins Gespräch kommen sollten. Auch gibt es Handlungsanregungen für Betriebs-/Personalräte. Auch die Beschäftigten selbst kommen zu Wort: In zahlreichen Testimonials schildern sie ihre Ideen, Bedürfnisse, aber ebenso Sorgen in Bezug auf die Zukunft ihrer Arbeit. Auf einer Online-Sonderseite zum Thema können Interessierte die dbb Ideenskizze lesen und Meinungen, Wünsche, Anregungen und Vorschläge abgeben.
Die Zukunft des öffentlichen Dienstes stand bei der dbb Jahrestagung in Köln auch im Fokus einer Podiumsdiskussion – insbesondere beschäftigte die Runde der Aspekt der Digitalisierung.
Irene Mihalic, innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, zeigte sich „im hohen Maße skeptisch“, ob der Zeitrahmen des Online-Zugangsgesetzes zur Digitalisierung zentraler Verwaltungsdienstleistungen eingehalten werden kann. Gelingensvoraussetzung seien vor allem eine umfangreiche Mitnahme und Unterstützung der Beschäftigten. „Der öffentliche Dienst wird durch die Digitalisierung ganz bestimmt an Attraktivität für die Beschäftigten gewinnen“, zeigte sich Mihalic überzeugt, „aber man muss ihnen den Umgang mit digitalen Technologien und Arbeitsmitteln auch ermöglichen und erschließen.“ Ängste müssten durch Transparenz, Fort- und Weiterbildung genommen werden – und durch das Herausstellen der positiven Digitalisierungseffekte: „Bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, flexiblere Arbeitszeit- und Arbeitsortgestaltung“, nannte Mihalic als Beispiele. Gleichzeitig dürfe sich Positives nicht ins Negative verändern: „Mit Blick auf die Gefahren ständiger digitaler Erreichbarkeit und Entgrenzung zwischen Arbeit und Privatleben brauchen wir klare und verbindliche Regelungen, die im gemeinsam mit den Personalvertretungen entwickelt werden müssen.“ Grundsätzlich wünscht sich die Innenexpertin der Grünen mehr Vielfalt im öffentlichen Dienst. Bei der Polizei seien die Anteile von Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund bereits erfreulich gewachsen, andere Bereichen zeigten sich dagegen noch „erschreckend undivers. Da kann und muss noch viel gemacht werden, möglicherweise auch durch eine neue Sicht auf die Zugangsvoraussetzungen und -bedingungen des öffentlichen Dienstes in dem Sinne, dass Erfahrungen und Kenntnisse, die die Menschen mitbringen, eingruppierungs- und einkommensrechtlich besser gewürdigt werden“, regte Mihalic an.
Nicole Opiela vom Fraunhofer-Institut für offene Kommunikationssystem (FOKUS) lieferte Fakten. „Nach dem DESI-Index für digitale Verwaltung sind wir in Sachen Digitalisierung der Verwaltung weiterhin Schlusslicht in Europa. Aber man muss differenzieren: Teilweise sind die Kommunen schon sehr innovativ. In vielen gibt es schon eine Digitalisierungs-Strategie oder es wird daran gearbeitet.“ Opiela betonte: „Für Kommunen ist die Digitalisierung auch eine Chance, als Standort attraktiver zu werden.“ Mehr Schub für die digitale Transformation erhofft sich die Expertin ebenso wie die Mitdiskutierenden von besserer Aus- und Weiterbildung der Beschäftigten. „Expertenwissen wird vergänglicher. Es braucht die Bereitschaft, sich permanent neues Wissen anzueignen“ – etwa auch dauerhaften informellen Austausch über moderne Arbeitsformen in den Verwaltungen.“
Heike Raab, Bevollmächtigte des Landes Rheinland-Pfalz beim Bund und in Europa und in Rheinland-Pfalz seit 2011 zuständig für Digitalisierung, stellte heraus, dass es, um den Prozess der Digitalisierung erfolgreich zu gestalten, wichtig sei, die Personalvertretungen und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Beginn an mitzunehmen. „Ziel muss es sein, Ängste abzubauen und das Bewusstsein zu vermitteln, dass diese neue Art des Arbeitens Freude macht und Arbeitserleichterungen schafft.“ Insbesondere müssten auch alle Führungskräfte eine Vorbildfunktion einnehmen und ausfüllen. „Führung muss sich total verändern. Das Thema Digitalisierung muss deshalb auch Bestandteil der Ausbildung in unseren Verwaltungshochschulen sein“, forderte Raab. Mit Blick auf die Gesamtperspektive unterstrich sie, dass Bund, Länder und Kommunen bei der Digitalisierung zwingend an einem Strang ziehen müssten. „Innerhalb unserer föderalistischen Struktur erfordert die Koordination einen langen Atem. Wir Länder sind dankbar, dass wir gemeinsam mit dem Bund das Konzept der Digitalen Musterkommune erarbeiten konnten. Ich lebe selbst so einer Modellkommune. Was bisher fehlt, ist die dort existierenden Strukturen als landesweites Rollout zu nutzen.“ Befürchtungen von Bürgerinnen und Bürger in Sachen Datenschutz im digitalen Staat entgegnete Raab, dass eben jene Menschen amerikanischen Konzernen all ihre sensibelsten Daten anvertrauten, während sie gegenüber der I-ID-Funktion ihres Personalausweises weitgehend ablehnend gegenüberstünden. „Da fehlt es schlicht an Aufklärung“, kritisierte Raab und hob die hohen Standards der digitalen öffentlichen Sicherheitsarchitektur hervor.
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, wies darauf hin, dass es noch lange Zeit einen großen Teil der Bevölkerung geben werde, der sich digitalen Lösungen in der Verwaltung verweigere, sei es aus Skepsis oder Gewohnheit. Aus seiner Sicht ist das bisherige Fehlen einer bundeseinheitlichen digitalen Identität eines der Hauptprobleme bei der technischen Digitalisierung von Verwaltungsprozessen. „Selbst bei vermeintlich banalen Dingen wie der Beantragung eines Angelscheins stehen wir vor riesigen Herausforderungen“, berichtete Landsberg und gab zu bedenken: „Der Föderalismus ist gewollt. Und er wird immer eine natürliche Hürde bleiben, die Verhältnisse wie im vielgelobten Estland verhindert.“ Landsberg regte, um den Bürgerinnen und Bürgern die digitale Verwaltung schmackhaft zu machen, eine Art „Fast-Lane“ für die Bürgerservices an: „Wenn es sichtbar schneller geht – so, wie am Flughafen, sind alle zufrieden und wollen das. Toll wäre, wenn wir in zwei Jahren schon 30 Prozent aller Verwaltungsvorgänge digital abwickeln.“ Vor allzu großer Euphorie warnte er gleichwohl: „Warten wir mal ab, ob wir das überhaupt schaffen.“
dbb Chef Ulrich Silberbach mahnte erneut eine zentralere Federführung bei der Digitalisierung in Deutschland an. „Wir sind weiterhin Entwicklungsland in Sachen Digitalisierung, und das größte Hemmnis ist neben der föderalen Architektur der Mix an Zuständigkeiten auch auf Bundeseben – das ist fast nicht mehr zu überschauen“, kritisierte Silberbach und begrüßte Absichten, ein Bundesdigitalministerium einzurichten. „Wir brauchen von der Bundesebene einen zentralen Impuls“, sagte Silberbach mit Nachdruck. „Ebenfalls dringend erforderlich ist auf Bundesebene eine Novellierung des Bundespersonalvertretungsrechts, das noch immer auf dem Stand von 1974 und damit hoffnungslos aus der Zeit gefallen ist.“ Damit könne man den Menschen im öffentlichen Dienst auch einen großen Teil der Ängste nehmen, die sie in Anbetracht der digitalen Transformation hätten. Wenn die Beschäftigten sicher sein könnten, dass sie moderne und verbindliche Beteiligungs- und Schutznormen haben, könnten sie sich offen auf den Veränderungsprozess einlassen. „Wir brauchen eine Vertrauenskultur und ebenso eine neue Fehlerkultur“, forderte Silberbach. „Wir können auch mal mit einer 60-prozentigen Lösung starten, es müssen nicht immer 100 Prozent sein – das ist eine typisch deutsche Krankheit, die wir heilen müssen“, erklärte er. Probleme könne man auch auf dem Weg in die Zukunft lösen, so der dbb Chef.
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Quelle: dbb newsletter Nr. 03/2020 vom 07.01.2020